Die Versuchsanordnung

Aus Philo Wiki
Version vom 17. Oktober 2006, 15:48 Uhr von Anna (Diskussion | Beiträge) (first)
(Unterschied) ← Nächstältere Version | Aktuelle Version (Unterschied) | Nächstjüngere Version → (Unterschied)
Wechseln zu:Navigation, Suche

Die Möglichkeit einer experimentellen Untersuchung dieser Frage wurde durch eine Entdeckung von Kornhuber und Decke eröffnet.' Sie fanden, dass einer Willenshandlung regel­mäßig und auf spezifische Weise eine messbare elektrische Ver­änderung der Gehirnaktivität vorangeht. Einer Willenshandlung ging ein schwacher Anstieg der elektrischen Negativität voraus, der auf einem Gebiet der Kopfhaut, vor allem am Schei­tel oben auf dem Kopf, lokalisiert war. Die elektrische Verände­rung begann etwa 800 ms oder länger bevor eine Versuchsperson allem Anschein nach eine Willenshandlung vollzog. Sie wurde daher Bereitschaftspotential (BP) genannt. Die untersuchte Handlung war ein plötzliches Krümmen oder Beugen des Handgelenks oder der Finger. Jedes BP ist sehr klein und wird nahezu überdeckt von den anderen elektrischen Aktivitäten des Gehirns im Ruhezustand. Deshalb mussten viele solcher Handlungen vollzogen werden, um eine von einem Computer gemittelte Aufzeichnung zu erzeugen, die die kleinen BPs summierte. Die Versuchsperson durfte den Zeitpunkt dieser zahlreichen Handlungen nach ihrem eigenen Gutdünken wäh­len. Ihre eigene Wahl des Handlungszeitpunkts war jedoch durch eine Dauer von 6 sec begrenzt, die Kornhuber und Deecke für jeden Versuchsdurchgang vorgesehen hatten, um die Sum­mierung on 200-300 BPs innerhalb einer annehmbaren Experi­mentierperiode zu erzielen. Kornhuber und Deecke betrachteten nicht die Frage, wann der bewusste Handlungswille im Verhältnis zur Vorbereitung des Gehirns (zum BP) erschien. Die lange Zeit, mit der das BP der Willenshandlung vorhergeht, ließ mich jedoch intuitiv ver­muten, dass es eine Diskrepanz zwischen dem Beginn der Ge­hirnaktivität und der Zeit des Erscheinens der bewussten Hand­lungsabsicht geben könnte. In einer öffentlichen Diskussion über Willenshandlungen brachte der Neurowissenschaftler und Nobelpreisträger Sir John Eccles seine Überzeugung zum Aus-druck, dass ein BP, das > 800 ms vor einer Willenshandlung beginnt, bedeuten muss, dass die damit verbundene bewusste Absicht sogar noch vor diesem frühen Einsetzen des BP er-scheint. Ich bemerkte, dass es keine Belege gab, die Eccles' An­sicht unterstützten, die vermutlich durch seine eigene Philoso­phie der Interaktion von Geist und Gehirn gefärbt war.' Die Feststellung der Zeit des bewussten Willens relativ zum Beginn der Gehirnaktivität (dem BP) war offensichtlich wichtig. Wenn der bewusste Wille auf den Beginn des BP folgen sollte, würde das eine grundlegende Wirkung auf unsere Sicht der Wil­lensfreiheit haben. Zu jener Zeit sah ich jedoch keine Möglich­keit, die Frage experimentell zu prüfen. Es schien unmöglich zu sein, eine zuverlässige Messung der Zeit des Auftauchens einer bewussten Absicht zu erreichen. Der bewusste Wille ist ein sub­jektives Phänomen, das äußerer Beobachtung nicht direkt zu­gänglich ist. Man benötigt einen Bericht von einer menschlichen Versuchsperson, die dieses subjektive Ereignis erlebt. Wenn man die Versuchsperson einen Knopf drücken oder »jetzt« sagen lässt, damit sie ihre bewusste Absicht ausdrücken kann, dann würde man weitere Willensakte zu der untersuchten Beugung des Handgelenks hinzufügen. Das würde die zuverlässige Feststel­lung des Zeitpunkts des bewussten Willens für die Testhandlung im Verhältnis zur Gehirnaktivität beeinträchtigen. Auch gab es keine Gewähr dafür, dass das Drücken eines Knopfes oder das »Jetzt«-Sagen bewusst vollzogen werden würde. Die Versuchsperson könnte also diese schnelle Reaktion unbewusst vollzie­hen, bevor sie sich des Erlebnisses bewusst wird. Wenn das so wäre, dann hätten wir eben keinen Zeitpunkt für den bewussten Willen. Als ich 1977 Gastwissenschaftler am Rockefeller Center for Advanced Studies in Bellagio, Italien, war, kehrten meine Ge­danken zu diesem scheinbar unlösbaren Messproblem zurück. Es fiel mir damals ein, dass eine Versuchsperson die »Uhrzeit« ih-res Erlebnisses der bewussten Absicht berichten könnte. Sie würde sich die Uhrzeit im Stillen merken und dann, nachdem jeder Versuchsdurchgang vorbei war, berichten. Nachdem ich nach San Francisco zurückkam, entwickelten wir eine solche Technik Ein Kathodenstrahloszilloskop wurde so arrangiert, dass der von ihm erzeugte Lichtfleck in der Nähe des äußeren Randes sei­nes Bildschirms einen Kreis beschrieb. Der äußere Rand des Bildschirms der Oszilloskopröhre war wie gewöhnlich durch 6o Sekunden markiert, die kreisförmig angeordnet waren. Die Be­wegung des Lichtflecks sollte die Bewegung des Sekundenzei­gers einer gewöhnlichen Uhr simulieren. Unser Lichtfleck ging jedoch in 2,56 sec einmal im Kreis herum, etwa fünfundzwan­zigmal schneller als die normalen 6o sec (siehe Abb. 4.1). Jede markierte Sekunde auf der Uhr entsprach deshalb etwa 43 ms der Bewegung des Lichtflecks. Diese schnelle »Uhr« konnte dann Zeitunterschiede im Bereich von hunderten von Millise­kunden aufdecken. Die Versuchsperson saß 2,3 m vom Oszilloskop entfernt. In jedem Durchgang fixierte sie ihren Blick auf die Mitte des Bild­schirms des Oszilloskops. Sie wurde gebeten, eine freie Willens­handlung zu vollziehen, eine einfache, aber plötzliche Bewegung des Handgelenks, und zwar zu einem beliebigen Zeitpunkt. Sie wurde gebeten, nicht im Voraus zu planen, wann sie handeln würde; würde; sie sollte vielmehr die Handlung »von sich aus« erschei­nen lassen. Das würde uns gestatten, den Prozess der Handlungs­planung von dem Prozess für einen freien, spontanen Willen, »jetzt zu handeln«, zu unterscheiden. Sie wurde außerdem gebeten, ihr erstes Bewusstsein ihrer Bewegungsabsicht mit der »Posi­tion auf der Uhr« des kreisenden Lichtflecks zu verknüpfen. Diese verknüpfte Uhrzeit wurde von der Versuchsperson nach Beendigung des Versuchs berichtet. Wir bezeichneten diese be-richteten Zeiten mit »W« für das bewusste Wollen oder Wün­schen einer Handlung. Das BP, das bei jeder solchen Willens­handlung erzeugt wurde, wurde ebenfalls gemessen, und zwar mit geeigneten Elektroden auf dem Kopf. Ein BP, das über vier-zig Versuche gemittelt wurde, erwies sich als brauchbar. Die Zeit des Einsetzens dieser gemittelten BPs konnte dann mit den be-richteten W-Zeiten bei denselben vierzig Handlungen vergli­chen werden. Anfangs hatten wir ernsthafte Zweifel, dass die Versuchsper­sonen die Uhrzeiten ihrer bewussten Absichten mit ausreichen-der Genauigkeit und Zuverlässigkeit berichten konnten. Wie sich herausstellte, lagen beide Charakteristika in einem Bereich, der für unsere Zwecke angemessen war. Die W-Zeit­punkte, die für jede Gruppe von vierzig Versuchen gemessen wurden, wiesen eine Standardabweichung von etwa 20 ms auf. Das galt für jede Versuchsperson, obwohl die gemittelten Ws sich zwischen den Versuchspersonen unterschieden. Da der über alle Versuchspersonen gemittelte W-Zeitpunkt etwa bei -200 ms (vor einer motorischen Handlung) lag, stellte eine Standardabweichung von ±20 ms eine noch hinreichende Zu­verlässigkeit dar. Eine Prüfung der Korrektheit von W war etwas schwieriger durchzuführen. Wir konnten nicht ganz sicher wissen, wie nahe das berichtete W bei der tatsächlichen subjektiven Zeit des Be­wusstseins lag. Wir konnten jedoch prüfen, wie genau die Ver­suchspersonen unsere Uhrzeit-Technik verwendeten. Zu diesem Zweck wurde eine Reihe von vierzig Versuchen durchgeführt, bei denen ein schwacher Hautreiz auf die Hand verabreicht wurde. Die Versuchspersonen wurden gebeten, keine Willens­handlung zu vollziehen, sondern sich vielmehr die Uhrzeit der Hautempfindung zu merken, die nach jedem Versuch berichtet werden sollte (wie bei W). Der Hautreiz wurde bei den vierzig Versuchen zu zufällig ausgewählten Uhrzeiten verabreicht. Diese Zeitpunkte (»S«) waren der Versuchsperson natürlich unbe­kannt. Wir erfuhren sie jedoch als Beobachter durch die Corn­puterausdrucke. Somit konnten wir eine objektiv bekannte, er-wartete Zeit eines subjektiven Bewusstseins mit den Uhrzeiten vergleichen, die von der Versuchsperson berichtet wurden. Die berichteten S-Zeiten lagen nahe bei den wirklichen Reizzeiten, wiesen jedoch einen Unterschied von etwa -5o ms (mit anderen Worten, früher) gegenüber den Zeitpunkten auf, zu denen die Reize tatsächlich verabreicht wurden. Da dieser Unterschied ziemlich konsistent war, konnte er als verzerrendes Element von dem durchschnittlichen W von -200 ms abgezogen werden. Das ergab ein »korrigiertes« durchschnittliches W von -iso ms. Eine Versuchsreihe, die die berichteten Zeiten für einen Hautreiz prüfte, wurde in jeder Sitzung durchgeführt. Unsere Definition einer Willenshandlung enthielt folgende Merkmale: Der Handlungswille entstand auf endogene Weise. Es gab also keine äußeren Hinweisreize für den Vollzug der Handlung; keine äußeren Beschränkungen für den Zeitpunkt der Handlung; und vor allem hatte die Versuchsperson den Eindruck, dass sie für die Handlung verantwortlich war, und sie hatte auch das Gefühl, dass sie es in der Hand hatte, wann sie handelte und ob sie überhaupt handeln sollte oder nicht. Menschliche Versuchspersonen können letzteres Kriterium von Situationen unterscheiden, in denen eine motorische Handlung ohne dieses Merkmal erzeugt wird. Der Neurochirurg Wilder Penfield reizte elektrisch den frei liegenden Motorkor­tex während der Operation zur Behandlung epileptischer Zent-ren.4 Die Reizung des Motorkortex erzeugt Kontraktionen be­stimmter Muskeln und bestimmte Bewegungen an bestimmten Stellen des Körpers. Die Patienten berichteten, dass sie solche Bewegungen nicht wollten; sie berichteten, dass diese Bewegun­gen ihnen von der Person aufgezwungen wurden, die ihren Kor­tex gereizt hatte; sie waren keine Willenshandlungen. Es gibt viele klinische Störungen, bei denen Handlungen in Abwesenheit eines bewussten Willens auftreten. Dazu gehören unwillkürliche Handlungen bei Gehirnlähmung, Parkinson, Chorea Huntington, Tourette-Syndrom und auch zwanghafte Handlungsimpulse. Ein schlagendes Beispiel ist das »alien hand sign«.5 Patienten mit einer Schädigung am vorderen, medialen Teil des prämotorischen Areals der Hirnrinde können den Ein-druck haben, dass die Hand und der Arm auf der betroffenen Seite merkwürdige zweckgerichtete Handlungen vollziehen, wie beispielsweise das Aufknöpfen eines Hemdes, während die Ver­suchsperson versucht, es zuzuknöpfen. All das geschieht ohne oder sogar gegen den Willen und die Absicht der Versuchsper­son.