Kommentare und Beiträge zur SE-Einheit vom 28.10.2008: Unterschied zwischen den Versionen

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Elemente philosophischer Anthropologie – Zukunft bei Heidegger und Pierre Bourdieu
  
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Anmerkungen zu Sozialer Sinn Seiten 97-121 M. Winter
  
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1.) Wie ist bei Bourdieu das Verhältnis zu (Neo-)Kantianismus und Phänomenologie?
  
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Gemeint ist damit eben nicht der Bezug den B. setzt und mir als eine argumentative Totalisierung (Subjektivismus) durch die Reduktion der Sichtweise von Phänomenologie unter den Blickwinkel einer sich phänomenologisch nennenden Sozialwissenschaft, deren Standpunkt sich aber eigentlich nur durch die Herangehensweise an spezifische Fallunterscheidungen ausgehend von der ersten Person, durch die „Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialen Feld“ (Sozialer Sinn, S.51) erzeugt werden, mit der Phänomenologie deckt. (Würde transzendentale Phänomenologie = Husserl, mundane Phänomenologie (eigentlich mundan-phänomenologische Sozialwissenschaft) = Schütz, fundanmentalontologische Phänomenologie = früher Heidegger trennen.)
  
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Die Frage scheint mir deshalb von  Bedeutung, die B. sicherlich auch starke Bezugspunkte zu Cassirer hat. Allerdings gibt es Positionen die mir zumindest mit dem Kantianismus nicht vereinbar scheinen. Etwa seine Bezugnahme auf Saussure, daß „der Standpunkt [die differenzielle Strukturbedingung] das Objekt schafft“ (Sozialer Sinn, S.58). Vom Neokantisnismus (Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, 1910) ist dieser Ansatz wahrscheinlich auch nachvollziehbar. Andere Abgrenzung zu Kant S. 112f.. Ist das mit Cassirer zu machen?
  
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Aber korrelieren beide Ansätze (Neok. und Phän.) nicht aus den unterschiedlichen Voraussetzungen ihrer Bedingungen? Und wenn wo? Oder ist B. Bastler? – Dann erübrigt sich die Frage zumindest für AnwenderInnen. – 
  
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verschärft: Ich glaube, dass sich bei Cassirer und Heidegger Positionen gegenüber stehen, die in ihrem unterschiedlichen Bezug zu Leibniz unvereinbar miteinander sind; B. aber aus beiden Bereichen schöpft. Was soll man damit tun?
  
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noch besser: Cassirer – Strukturalismus – Heidegger
  
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ad. 114ff:
  
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Es ist zwar objektiv richtig zu sagen, dass die Praktiken ihre Zukunft vorwegnehmen, die in den Praktiken angepeilte Zukunft aber, ist nicht die im Aktualisieren begriffene Zukunft, sondern eine vergangene Zukunft, deren objektive Strukturen, die sie hervorgebracht haben deckungsgleich oder zumindest vergleichbar sind – oder jedenfalls sein sollten – mit jenen, die der aktuellen Handlung zugrunde liegen. Damit ist der Bezugspunkt einer Handlung eigentlich die (unbewusste, weil habituelle) Analogisierung einer vergangenen Situation mit der gegenwärtigen und nicht die objektive Zukunft, auch wenn es diese ist, die sich realisiert. Es nimmt also nicht ein rational Handelnder eine objektive Zukunft (mittels Abwägung von Wahrscheinlichkeiten und damit der objektiven Voraussetzungen für das Realisieren einer bestimmten Zukunft) vorweg, sondern es sind bestimmte Denk- Handlungs- und Wahrnehmungschemata (kurz: Habitus), die auf die aktuelle Situation appliziert werden, im Sinne einer Analogisierung der aktuellen mit vergangenen objektiven Strukturen dh. Anforderungen, wodurch sich zwar ein Bezug auf ein Nachher der gesetzten Handlung ergibt, dieses Nachher aber nicht nach Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich seines Eintreffens befragt wird, sondern mittels Rekurs auf Vergangenes postuliert wird (unbewusst natürlich). Objektiv tritt natürlich eine objektive Zukunft ein, sie ist aber streng genommen nicht das Objekt des Bezugs in ihrer sich aktualisierten Form, sondern dieser Bezug ist eben eine vergangene Zukunft.
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Lässt sich das alles so sagen?
  
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Konnte meine Ausarbeitung und Lektüre nicht ganz vollenden (letzter Lesedurchgang fehlt), ist jetzt also ein bisschen eine Hauruck-Aktion, weil eigentlich eine Notiz (eine etwas redundante noch dazu), die nicht fürs Wiki gedacht war ;). wäre über euer feedback daher umso dankbarer.
  
  
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lg, --[[Benutzer:Katharina Bernhard|Katharina Bernhard]] 19:45, 26. Okt. 2008 (CET)
  
  
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Ausgehend von einer bestimmten Stelle im Text, würde ich gerne ein Problem ansprechen, welches mir besonders Kopfzerbrechen bereitet. Es geht um das mehrfache Verhältnis des wissenschaftlichen Beobachters sowohl zum Subjekt als auch zum Objekt (welches ja wieder ein Subjekt ist). Diejenige Stelle, die das Problem am besten ausdrückt, findet sich auf S.86 und lautet folgendermaßen: "Interessant an Sartres Analyse ist, daß sie aufzeigt, was die Grundlage der Auseinandersetzung zwischen Subjektivismus und Objektivismus ist und um was es ihr geht: die Idee, die sich die Humanwissenschaft vom Menschen macht, also von jemand, der zugleich Objekt und Subjekt dieser Wissenschaft ist." (Bourdieu. Sozialer Sinn. S.86).
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Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn - Kritik der theoretischen Vernunft; S. 97-121.
Falls ich dies richtig interpretiere, kann man dies so auslegen, dass man sagt, das Objekt der Humanwissenschaft ist immer von subjektiven Vorstellungen bzw. Vorwegnahmen des Subjekts, welches in diesem Fall der Wissenschaftler ist, unterminiert und deshalb handelt es sich um ein "subjektives Objekt". Umgekehrt ergibt sich das Problem, dass die Rückfrage nach einem Subjekt (in diesem Fall das eigene) immer von objektiven Vorstellungen des es bestimmenden Subjekts unterminiert ist, also ein "objektives Subjekt" darstellt. Ohne nun direkt zur Auflösung des Problems durch den Habitus überzugehen, würde ich dieses theoretische Verhältnis doch gerne weiter hinterfragen.
 
Das objektive Subjekt kann nämlich, soweit ich dies nicht falsch verstehe, ein doppeltes sein, nämlich, erstens ein objektiviertes subjektives Subjekt, betrachtet aus der Perspektive des Subjekts, welches auf sich selbst reflektiert. Dies zeigt die Besprechung Sartres sehr gut, von dem Bourdieu schreibt: "Das Beispiel Sartres, des Intellektuellen schlechthin, der fähig ist, von den durch und durch für die Analyse produzierten Erfahrungen so zu leben, wie er sie ausspricht, und wie um sie auszusprechen, d.h. von den Dingen, die erlebenswert, weil erzählenswert sind, zeigt, daß der Subjektivismus, ähnlich wie der das wissenschaftliche Verhältnis zum Objekt verallgemeinernde Objektivismus, die Erfahrung verallgemeinert, die das Subjekt des wissenschaftlichen Diskurses über sich selbst als Subjekt macht." (Bourdieu. Sozialer Sinn. S.86) Hierbei ist mir die Phrase "die das Subjekt (...) über sich selbst macht" sehr wichtig, da von den objektivierten subjektiven Erfahrungen des Subjekts auf ein anderes Subjekt geschlossen wird, nämlich auf ein fremdpsychisches, welches gleichzeitig wieder als Objekt erscheint.
 
Zweitens, was auf Bourdieus Besprechungen des Strukturalismus zutrifft, wird versucht von einem objektivierten objektiven Subjekt (einem fremdpsychischen) auf ein subjektives zu schließen, was natürlich nicht funktioniert, da man die als Bedingung der Möglichkeit fungierenden Objektivierungsverfahren nicht nachträglich zum Verschwinden bringen kann.
 
Worauf ich hinaus will ist, dass der Subjektivismus von dem objektivierten Eigenen auf das Fremde schließt, der Objektivismus von dem Fremden auf das Eigene und, dass notwendigerweise jeweils ein Teil des Eigenen in der Analyse des Fremden, sowie in der Analyse des Eigenen immer eine Teil des Fremden ist. Das dem so ist, könnte man einerseits mit der Aussage "wie er sie ausspricht", was ja streng genommen schon eine Objektivierung darstellt, untermauern, andererseits glaube ich aber, dass dies besser mit der behandelten Fragestellung zusammenhängt.
 
Die Frage nach der Objektivierung der Objektivierung, bzw. nach den Bedingungen der Möglichkeit der Objektivierung, konstituiert ein doppeltes Subjekt, nämlich einerseits das Subjektive Subjekt, welches der Wissenschaftler ist, sowie andererseits das objektive Subjekt, welches Gegenstand der Untersuchung ist. Will man die daraus resultierenden Schwierigkeiten nun beheben, muss man eine Erklärung finden, die es leisten kann sowohl den Charakter der Praxis des subjektiven Subjekts, sowie den Charakter der Praxis des objektiven Subjekts quasi gleichzeitig zu erklären, da ja durch die anscheinend notwendigen Objektivierungsprozesse immer das Eigene im Fremden enthalten ist und umgekehrt. Es soll also letztlich um den Menschen gehen, der "zugleich Objekt und Subjekt der Wissenschaft" (Bourdieu. Sozialer Sinn. S.86), also quasi (und das ist nun mein Punkt) ein von ''ein und denselben'' Strukturformeln geleiteter Mensch ist, welcher je nachdem einmal Subjekt und einmal Objekt der Wissenschaft ist und für dessen Erklärung ein Modell gefunden werden muss, welches eigen- und fremdpsychische Subjekte gleichermaßen erklären kann.
 
Zuletzt bin sich sehr neugierig, ob diese Ausführungen ihre Richtigkeit haben, bzw. inwiefern dies für die weiteren Diskussionen und Texte wichtig ist. Zumindest hoffe ich, dass ich mich nicht in irgendwelchen theoretischen Spielerein verlaufen habe.
 
Mit freundlichen Grüßen--[[Benutzer:Leo stadlmüller|Leo stadlmüller]] 18:21, 19. Okt. 2008 (CEST)
 
  
Hallo,  
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Als „Interiorisierung der Exteriorität“ beschreibt Bourdieu den Habitus. Er unterscheidet zwei Formen: individueller Habitus und Klassenhabitus. Der Klassenhabitus ist ein geschaffenes Milieu von „Situationen“, die aus einer „systematischen Auswahl“ aus individuellen sozialen Lebensläufen sich konstituiert (Homologie).
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Gleichzeitig existiert der Habitus in Institutionen (durch die in den Institutionen sitzenden Subjekte) und wird durch diese geschaffen (die Institution als eine Möglichkeit der Ausbildung des Habitus). Der Diskurs herrscht durch den Habitus als Aneignungsform. Der Habitus bewirkt das Aufleben des in den Institutionen objektivierten Sinns.
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Bourdieu bezeichnet Wahrheit als „Dialektik von Objektivierungsabsicht und objektivierter Absicht“, die sich ständig definiert und umdefiniert. Wahrheit ist somit abhängig von den unterschiedlichen sozialen Lebensläufen und eine nie einzulösende „objektive Absicht“ (modus operandi; sowie individueller Charakter). Wahrheit ist kein Ideal mehr.
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Sind Wahrheit und (subjektive, objektivierte) Alltagswelt unterscheidbar? Welche ist die „mächtigere“ Komponente im Verhältnis Habitus/Diskurs?
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Warum können die Praktiken die den Habitus hervorbringen nicht abgeleitet werden?
  
mir ist in diesem von Leo zur Diskussion gestellten Zusammenhang folgender Satz aufgefallen:
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--[[Benutzer:Frank Epple|Frank Epple]] 23:52, 26. Okt. 2008 (CET)
 
 
"Wenn man weiß, was Reden heißt, gibt es keinen Diskurs (oder Roman) des Handelns: es gibt nur einen Diskurs, der die Handlung ausspricht und der unablässig ''wiederholen muss, dass er sie nur ausspricht'', wenn er nicht in Zusammenhanglosigkeit oder Hochstapelei abgleiten will." (S. 63-64)
 
 
 
"Aussprechen" verstehe ich in diesem Sinne als 'Regel Folgen' und nicht als Bedeutung bzw. Exegese der Theologie eines "Gottes in der Maschine" (S. 76 - die unbewusste Zweckmäßigkeit der Strukturen, zu deren Träger die sozialen Akteure reduziert werden; der "Gott in der Maschine", der als Unbewusstes, als ein mechanischer Zweckmäßigkeitsoperator, Bourdieu zufolge, in 'rein' strukturalistischen Untersuchungen zum erklärenden Einsatz kommt) oder eines Gottes im Automaten (vgl. S. 92 - Kritik an Pascals Antinomie des Glaubens kraft Entscheidung, in welcher der die Macht der Gewohnheit bewusst initiierende Moment sozusagen außer Kraft gesetzt wird). Und das Problem des 'Regel Folgens', das m.E. Gegenstand dieses Abschnittes ist,  illustriert Bourdieu anhand der Passage aus den Philosophischen Untersuchungen (S.74):
 
 
 
"[…] - Wie soll ich also die Regel bestimmen, nach der er spielt? Er weiß sie selbst nicht. - Oder richtiger: Was soll der Ausdruck >Regel, nach welcher er vorgeht< hier noch besagen?"
 
 
 
Soweit ich verstanden habe, erhält dieser Ausdruck Bedeutung eben nicht durch die zu einer Regel geronnenen oder hypostasierten Regelmäßigkeit (der weiter hinten beschriebene Kurzschluss von den "Dingen der Logik [auf] die Logik der Dinge" (S. 92)) , sondern durch die Erklärung die eben die Bedeutung dieses Ausdrucks erklärt. Diese Erklärung stellt nicht ein wissenschaftliches Subjekt (eine erklärende Vernunft) einem wissenschaftlichen Objekt (einer erklärten Vernunft) gegenüber, sondern stellt den "Einsatz in ein [Sprach]Spiel" (S. 95 FN 1) dar, und ist also selbst Ausdruck eines 'Regel Folgens', eines Inter-esses, ausgerichtet auf eine "objektive Zukunft", also orientiert an dem "Raum der gebotenen Möglichkeiten und Unmöglichkeiten" (vgl. S. 94-96). Objektivieren fasse ich in diesem Sinne auf als 'einer durch einen Synchronisationseffekt und durch eine "Amnesie der Entstehung" (S.93) hervorgerufenen Zeitlosigkeit Entreißen', wodurch sowohl 'Beobachter' als auch 'sozialer Akteur' ihrer grammatikalischen und/oder ontologischen Funktion enthoben und als Subjekte von Praktiken rekonstituiert werden können.     
 
 
 
mfg eva schörkhuber
 
  
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Frage zu Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. S. 97-121
  
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Auf S.115 wirkt es auf mich als würde Bourdieu die teleologische Beschreibung schlicht als das subjektive Gegenstück zur objektiv mechanistischen darstellen (wobei es beide zu überwinden gilt). Dazu passend schreibt Bourdieu auf S.98 im Kontext der Erklärung der Habitusformen: "Als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv geregelt und regelmäßig sind (...)." Hierbei frage ich mich, ob das unbewusste Anstreben von Zwecken die Zweckmäßigkeit etwa ausschließt. Speziell eine Erstkonditionierung (S.117), oder (im Gegensatz dazu) die Praxiswelt, als eine Welt realisierter Zwecke, die mit einem "dauerhaft teleologischen Charakter ausgestattet sind" (S.100), würde doch  Zwecke einleiten, bzw. als Zielgrund fungieren können. Ich frage deswegen, weil ich es nicht glauben oder denken kann, dass eine teleologische Beschreibung notwendigerweise in die Kategorie des freien rational Handelnden hineinfällt. Noch weniger bin ich mir über dieses Verhältnis klar, wenn ich bedenke, dass sich die Intentionen des rational Handelnden, welcher auf S.118 als Ausnahmefall bezeichnet wird, objektiv mit den objektiv berechenbaren Profiten decken. Wird hier außerdem nicht der rational Handelnde dem mechanischen Subjekt irgendwie gleichgesetzt, indem Bourdieu versucht den beiden Polen einen derart extremen Standpunkt zuzuweisen, dass sie sich letztendlich in ihrer abstrakten Form nicht mehr voneinander unterscheiden?
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Oder muss ich bedenken, dass die Strukturen vom Habitus einverleibt werden und somit auch vorhanden, nur nicht mehr bewusst vorhanden sind? Aber wäre das nicht eine etwas abgeflachte Erklärung, welche das oben erwähnte Problem erneut stellt?
  
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--[[Benutzer:Leo stadlmüller|Leo stadlmüller]] 00:31, 27. Okt. 2008 (CET)
  
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Aktuelle Version vom 3. November 2008, 13:14 Uhr

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Am 28.10.2008 besprechen wir die Seiten 97 bis 121 aus Pierre Bourdieus "Sozialer Sinn" (Le sens pratique).


Elemente philosophischer Anthropologie – Zukunft bei Heidegger und Pierre Bourdieu

Anmerkungen zu Sozialer Sinn Seiten 97-121 M. Winter


1.) Wie ist bei Bourdieu das Verhältnis zu (Neo-)Kantianismus und Phänomenologie?

Gemeint ist damit eben nicht der Bezug den B. setzt und mir als eine argumentative Totalisierung (Subjektivismus) durch die Reduktion der Sichtweise von Phänomenologie unter den Blickwinkel einer sich phänomenologisch nennenden Sozialwissenschaft, deren Standpunkt sich aber eigentlich nur durch die Herangehensweise an spezifische Fallunterscheidungen ausgehend von der ersten Person, durch die „Konstruktionen zweiten Grades, das heißt Konstruktionen von Konstruktionen jener Handelnden im Sozialen Feld“ (Sozialer Sinn, S.51) erzeugt werden, mit der Phänomenologie deckt. (Würde transzendentale Phänomenologie = Husserl, mundane Phänomenologie (eigentlich mundan-phänomenologische Sozialwissenschaft) = Schütz, fundanmentalontologische Phänomenologie = früher Heidegger trennen.)

Die Frage scheint mir deshalb von Bedeutung, die B. sicherlich auch starke Bezugspunkte zu Cassirer hat. Allerdings gibt es Positionen die mir zumindest mit dem Kantianismus nicht vereinbar scheinen. Etwa seine Bezugnahme auf Saussure, daß „der Standpunkt [die differenzielle Strukturbedingung] das Objekt schafft“ (Sozialer Sinn, S.58). Vom Neokantisnismus (Cassirer, Substanzbegriff und Funktionsbegriff, 1910) ist dieser Ansatz wahrscheinlich auch nachvollziehbar. Andere Abgrenzung zu Kant S. 112f.. Ist das mit Cassirer zu machen?

Aber korrelieren beide Ansätze (Neok. und Phän.) nicht aus den unterschiedlichen Voraussetzungen ihrer Bedingungen? Und wenn wo? Oder ist B. Bastler? – Dann erübrigt sich die Frage zumindest für AnwenderInnen. –

verschärft: Ich glaube, dass sich bei Cassirer und Heidegger Positionen gegenüber stehen, die in ihrem unterschiedlichen Bezug zu Leibniz unvereinbar miteinander sind; B. aber aus beiden Bereichen schöpft. Was soll man damit tun?

noch besser: Cassirer – Strukturalismus – Heidegger



ad. 114ff:

Es ist zwar objektiv richtig zu sagen, dass die Praktiken ihre Zukunft vorwegnehmen, die in den Praktiken angepeilte Zukunft aber, ist nicht die im Aktualisieren begriffene Zukunft, sondern eine vergangene Zukunft, deren objektive Strukturen, die sie hervorgebracht haben deckungsgleich oder zumindest vergleichbar sind – oder jedenfalls sein sollten – mit jenen, die der aktuellen Handlung zugrunde liegen. Damit ist der Bezugspunkt einer Handlung eigentlich die (unbewusste, weil habituelle) Analogisierung einer vergangenen Situation mit der gegenwärtigen und nicht die objektive Zukunft, auch wenn es diese ist, die sich realisiert. Es nimmt also nicht ein rational Handelnder eine objektive Zukunft (mittels Abwägung von Wahrscheinlichkeiten und damit der objektiven Voraussetzungen für das Realisieren einer bestimmten Zukunft) vorweg, sondern es sind bestimmte Denk- Handlungs- und Wahrnehmungschemata (kurz: Habitus), die auf die aktuelle Situation appliziert werden, im Sinne einer Analogisierung der aktuellen mit vergangenen objektiven Strukturen dh. Anforderungen, wodurch sich zwar ein Bezug auf ein Nachher der gesetzten Handlung ergibt, dieses Nachher aber nicht nach Wahrscheinlichkeiten hinsichtlich seines Eintreffens befragt wird, sondern mittels Rekurs auf Vergangenes postuliert wird (unbewusst natürlich). Objektiv tritt natürlich eine objektive Zukunft ein, sie ist aber streng genommen nicht das Objekt des Bezugs in ihrer sich aktualisierten Form, sondern dieser Bezug ist eben eine vergangene Zukunft. Lässt sich das alles so sagen?

Konnte meine Ausarbeitung und Lektüre nicht ganz vollenden (letzter Lesedurchgang fehlt), ist jetzt also ein bisschen eine Hauruck-Aktion, weil eigentlich eine Notiz (eine etwas redundante noch dazu), die nicht fürs Wiki gedacht war ;). wäre über euer feedback daher umso dankbarer.


lg, --Katharina Bernhard 19:45, 26. Okt. 2008 (CET)




Pierre Bourdieu, Sozialer Sinn - Kritik der theoretischen Vernunft; S. 97-121.

Als „Interiorisierung der Exteriorität“ beschreibt Bourdieu den Habitus. Er unterscheidet zwei Formen: individueller Habitus und Klassenhabitus. Der Klassenhabitus ist ein geschaffenes Milieu von „Situationen“, die aus einer „systematischen Auswahl“ aus individuellen sozialen Lebensläufen sich konstituiert (Homologie). Gleichzeitig existiert der Habitus in Institutionen (durch die in den Institutionen sitzenden Subjekte) und wird durch diese geschaffen (die Institution als eine Möglichkeit der Ausbildung des Habitus). Der Diskurs herrscht durch den Habitus als Aneignungsform. Der Habitus bewirkt das Aufleben des in den Institutionen objektivierten Sinns. Bourdieu bezeichnet Wahrheit als „Dialektik von Objektivierungsabsicht und objektivierter Absicht“, die sich ständig definiert und umdefiniert. Wahrheit ist somit abhängig von den unterschiedlichen sozialen Lebensläufen und eine nie einzulösende „objektive Absicht“ (modus operandi; sowie individueller Charakter). Wahrheit ist kein Ideal mehr. Sind Wahrheit und (subjektive, objektivierte) Alltagswelt unterscheidbar? Welche ist die „mächtigere“ Komponente im Verhältnis Habitus/Diskurs? Warum können die Praktiken die den Habitus hervorbringen nicht abgeleitet werden?

--Frank Epple 23:52, 26. Okt. 2008 (CET)



Frage zu Pierre Bourdieu: Sozialer Sinn. S. 97-121

Auf S.115 wirkt es auf mich als würde Bourdieu die teleologische Beschreibung schlicht als das subjektive Gegenstück zur objektiv mechanistischen darstellen (wobei es beide zu überwinden gilt). Dazu passend schreibt Bourdieu auf S.98 im Kontext der Erklärung der Habitusformen: "Als Erzeugungs- und Ordnungsgrundlagen für Praktiken und Vorstellungen, die objektiv an ihr Ziel angepasst sein können, ohne jedoch bewußtes Anstreben von Zwecken und ausdrückliche Beherrschung der zu deren Erreichung erforderlichen Operationen vorauszusetzen, die objektiv geregelt und regelmäßig sind (...)." Hierbei frage ich mich, ob das unbewusste Anstreben von Zwecken die Zweckmäßigkeit etwa ausschließt. Speziell eine Erstkonditionierung (S.117), oder (im Gegensatz dazu) die Praxiswelt, als eine Welt realisierter Zwecke, die mit einem "dauerhaft teleologischen Charakter ausgestattet sind" (S.100), würde doch Zwecke einleiten, bzw. als Zielgrund fungieren können. Ich frage deswegen, weil ich es nicht glauben oder denken kann, dass eine teleologische Beschreibung notwendigerweise in die Kategorie des freien rational Handelnden hineinfällt. Noch weniger bin ich mir über dieses Verhältnis klar, wenn ich bedenke, dass sich die Intentionen des rational Handelnden, welcher auf S.118 als Ausnahmefall bezeichnet wird, objektiv mit den objektiv berechenbaren Profiten decken. Wird hier außerdem nicht der rational Handelnde dem mechanischen Subjekt irgendwie gleichgesetzt, indem Bourdieu versucht den beiden Polen einen derart extremen Standpunkt zuzuweisen, dass sie sich letztendlich in ihrer abstrakten Form nicht mehr voneinander unterscheiden? Oder muss ich bedenken, dass die Strukturen vom Habitus einverleibt werden und somit auch vorhanden, nur nicht mehr bewusst vorhanden sind? Aber wäre das nicht eine etwas abgeflachte Erklärung, welche das oben erwähnte Problem erneut stellt?

--Leo stadlmüller 00:31, 27. Okt. 2008 (CET)










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