Wohlstandsverwahrlosung (JsB): Unterschied zwischen den Versionen

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Redl und Winemann haben einen Merkmalskatalog zusammengestellt. Für sie lässt sich die psychologische Struktur der inneren Verwahrlosung als einen psychischen Defekt beschreiben.
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*Extrem niedrige Frustrationstoleranz
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Weil zu wenige Frustrationen gesetzt wurden, können auch keine Versagungen ertragen werden.
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Auch ein Kind, das gewöhnt ist, sich alles erlauben zu können, kennt keine tragfähige innere Gewissensinstanz, weil es glaubt, ihm stehe immer und weiterhin alles zu.
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*Gestörte Schuldgefühle
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Entweder fehlen Schuld- und Gewissensgefühle ganz, weil sie nur auf der Basis von Beziehungen und Identifikationen zur Entwicklung kommen, oder sie treten übermächtig auf, können nicht adäquat verarbeitet werden und rufen Aggressionen hervor.
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*Mangelnde Bewältigung von Unsicherheit und Angst
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Es tritt ein starkes Überflutetsein von negativen Gefühlen auf, das zu Verweigerung, Flucht oder Angriff führt.
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*Angst vor Routine
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Regeln und Routinehandlungen können in ihrer sozialen und sachlichen Notwendigkeit nicht erkannt werden. Als erlebte Bedrohung eigener Wünsche und Handlungstendenzen rufen sie Aggressionen und Ablehnung hervor.
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*Gestörter Planungshorizont
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Zukunft wird entweder inadäquat erhöht gedacht als Projektionsebene für die Riesenwünsche und Selbsterhöhungen oder aber inadäquat angstauslösend, so dass jede Zukunftsorientierung verweigert wird. 
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*Gestörtes Erfahrungslernen
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Mit der gestörten Realitätsanpassung hängt zusammen, dass Erfahrungen im Rahmen des gestörten Beurteilungshorizonts gedeutet werden und damit eine Verstärkung der Fehleinschätzung verbunden ist.
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*Gestörte soziale Sensibilität
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Aufgrund der beeinträchtigten Beziehungs- und Übertragungsfähigkeit kann sich der Verwahrloste nur mangelhaft einfühlen. Er nimmt Gefühle und Motive anderer Menschen nur unzureichend wahr und ist deshalb auch nur beschränkt fähig, Gruppenprozesse zu verstehen und sich zu integrieren.
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*Hohe Ansprechbarkeit
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Die Gefühlsauslösung gelingt leicht, die schwache Persönlichkeit kann sich nach außen nur unzureichend abgrenzen, eigene Willensentscheidungen treffen und durchsetzen.  Die Beeinflussbarkeit durch äußere Reize ist beträchtlich. Weder dem Aufforderungscharakter von Objekten noch Gruppenprozessen oder Gruppendruck kann widerstanden werden.
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*Unfähigkeit zum friedlichen Wettbewerb
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Hier zeigt sich die Unfähigkeit zum Verlierenkönnen. Der Wettstreit wird vermieden oder artet in Kampf aus.
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Wenn wir diesen Katalog genauer betrachten, so sehen wie darin einen Menschen beschrieben, der uns labil, widersprüchlich und schwach erscheint.
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Von Angst und Aggressionen ist die Rede, von Bedrohtsein, vom Sich- nicht abgrenzen- Können, vom Auftrumpfen und vom Sich- Zurückziehen.
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===Defizite und Schwachstellen der Persönlichkeit===
 
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===Folgen von Wohlstandsverwahrlosung===
 
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===Prävention von Wohlstandsverwahrlosung===
 
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Version vom 11. Juni 2007, 18:40 Uhr

Wohlstandsverwahrlosung

Was ist Wohlstandsverwahrlosung?

Wohlstandsverwahrlosung beschreibt die seelische Vernachlässigung von Kindern und Jugendlichen. Der Begriff entstand aus der Zusammenziehung von Wohlstand und Verwahrlosung. In vielen Fällen hört man auch von Verwöhn – Verwahrlosung.

Wohlstandsverwahrlosung bedeutet eine Erziehung ohne Grenzen bezüglich materieller Dinge zu führen. Die Eltern sorgen für das materielle Wohl der Familie und Kinder, es fehlt aber an emotionaler Zuwendung und Liebe.

Wissenschaftliche Definition von Wohlstandsverwahrlosung

„Psychische Verwahrlosung/Vernachlässigung bei Kindern und Jugendlichen bei gleichzeitigen materiellen Überfluss.“

(Zöchling, Elisabeth: Verwahrlosungsprobleme bei Sekundarschülern/ Diplomarbeit, 1996, S.56)

Ursachen für Wohlstandsverwahrlosung

  • Zeitgeist, Modeerscheinungen, aktuelle Tendenzen der Erziehung zum Wohlstand
  • die Ungleichmäßigkeit der Reife: Überforderung durch ein „Viel-zu-früh“ in Orientierung, Lebensform, Wissen und Erfahrung und Unterforderung durch die so genannte „Käseglocke“ und ein zu-wenig in der emotionalen Förderung.
  • Verminderte emotionale Tiefe und Dauer durch leistungsmäßige und emotionale Überforderung

Auf der Ebene des Lernens

  • Die Lerntheoretische und sozialpsychologische Richtung der Psychologie verweist auf die Einflüsse des Modelllernens bei der Ausbildung von Verwahrlosungsstruktur und Verwahrlosungserscheinungen.
  • Wir alle geben Modelle ab; imitiert werden dabei bevorzugt die Vorbilder die mit ihrem Verhalten Erfolg haben, sozial geschätzt sind und Anerkennung erfahren. Es spielt keine Rolle ob das erfolgreiche Modell „gutes“ oder „schlechtes“ Verhalten vorlebt.

Elternverhalten und Familienstruktur

  • Angst vor der Verantwortung und Delegation (= Übertragung/ abgeben von) der Verantwortung
  • Selbstverwirklichung: der Begriff wird missverstanden durch „Ich muss etwas für mich tun,ich brauche mehr Zeit für mich“ was wiederum schnell in die „Egoismus - Falle“ führt. Selbsterfahrung ist im wesentlichen eine Grenzerfahrung. Die Grenzen emotionaler und intellektueller Belastbarkeit betrifft vor allem die bewusste Auseinandersetzung mit Kindern.
  • Elternverhalten ist vor allem Verhalten aufgrund einer Rollenerwartung: In unserer heutigen Zeit gibt es keine klar strukturierten Rollenbilder mehr, sondern individuelle Lösungen bzw. haben Mann und Frau gleichartige und gleichwertige Rollenidentifikationen. Viele Eltern verfolgen unterschiedliche Erziehungsrichtlinien, welche als mit verursachend bei der Entwicklung von Verwahrlosungsstrukturen gesehen werden. Dem Kind fehlen somit konsistente Richtlinien und Verhaltensanweisungen. Das Kind lernt daraus Kapital zu schlagen und agiert zwischen den Fronten das heißt, es spielt die Elternteile gegeneinander aus.
  • Auflösungs- und Annäherungsprozesse der weiblichen und der männlichen Rolle endet häufig in frustrierten Beziehungserwartungen. Die Folgen sind emotionale Defizite. Oft tritt dann jene Situation ein, dass das Kind zu einer Art „Ersatz“ wird, d.h. das es nicht allein für das Glück der Eltern da ist, sondern dem Vater die Tochter als Mutter und der Sohn der Mutter als Ehemann.
  • Das Kind lernt, dass es nicht um es selbst geht und lässt sich materiell dafür entschädigen,die Eltern denken sie können sich damit ihren Schuldgefühlen entledigen
  • Hüh – und – Hott – Erziehung ist die Folge, d.h. an einem Tag wird etwas erlaubt was am nächsten Tag schon wieder nicht mehr gilt
  • Die Unsicherheit der Eltern verstärkt die Unsicherheit der Kinder, Hilfe lässt sich in Erziehungsratgebern „finden“ die aufgrund unterschiedlicher Konzepte die Unruhe in Kindern nur noch mehr steigern und es innerlich noch mehr verwirren
  • Ein weiterer Punkt ist der abwesende Vater bzw. die abwesende Mutter, der Druck Vater und Mutter zugleich zu sein führt zu Schuldgefühlen, welche in Verwöhnung und materiellen Ausgleich führen

Hauptursachen der Wohlstandsverwahrlosung

  • Abwesender Elternteil
  • Rollen- und Beziehungsprobleme
  • Schuldgefühle materiell loszuwerden

Davor schützt auch nicht die nach außen hin präsentierte strukturell intakte Familie.

Der Versuch einer tiefenpsychologischen Erklärung

  • Verwöhnung kann als Abwehrmechanismus dienen, wenn das Kind nicht so mitmacht wie geplant, wenn es den Erwartungen der Eltern nicht entspricht z.B.: soll nach außen hin heißen „Seht, wie ich mein Kind liebe.“
  • Verwöhnung kann sich auch in der Overprotection – Haltung zeigen, die so genannte „Käseglocke“, dieser Schutz kann jedoch schnell zu einer Schädigung werden

Ein weiterer Bestimmungsversuch/ weitere Ursachen

  • innere Verwahrlosung steht im Zusammenhang mit dem psychologischen Grunderlebnis des Misstrauens
  • häufig wechselnde, widersprüchliche Beziehungs- und Umgebungsverhältnisse
  • die Welt wird als unzuverlässig und unberechenbar erlebt
  • Inkongruenz und Rollenunsicherheit
  • häufig wechselnde Bezugspersonen die unterschiedlich erziehen
  • abweichende partnerschaftliche Rollenerwartungen führen zum psychologischen Missbrauch des Kindes

(vgl. Zöllner, Ulrike „Die armen Kinder der Reichen – Was macht der Wohlstand aus unseren Kindern?")

Merkmalskatalog

Redl und Winemann haben einen Merkmalskatalog zusammengestellt. Für sie lässt sich die psychologische Struktur der inneren Verwahrlosung als einen psychischen Defekt beschreiben.

  • Extrem niedrige Frustrationstoleranz

Weil zu wenige Frustrationen gesetzt wurden, können auch keine Versagungen ertragen werden.

  • Niedrige Versuchstoleranz

Auch ein Kind, das gewöhnt ist, sich alles erlauben zu können, kennt keine tragfähige innere Gewissensinstanz, weil es glaubt, ihm stehe immer und weiterhin alles zu.

  • Gestörte Schuldgefühle

Entweder fehlen Schuld- und Gewissensgefühle ganz, weil sie nur auf der Basis von Beziehungen und Identifikationen zur Entwicklung kommen, oder sie treten übermächtig auf, können nicht adäquat verarbeitet werden und rufen Aggressionen hervor.

  • Mangelnde Bewältigung von Unsicherheit und Angst

Es tritt ein starkes Überflutetsein von negativen Gefühlen auf, das zu Verweigerung, Flucht oder Angriff führt.

  • Angst vor Routine

Regeln und Routinehandlungen können in ihrer sozialen und sachlichen Notwendigkeit nicht erkannt werden. Als erlebte Bedrohung eigener Wünsche und Handlungstendenzen rufen sie Aggressionen und Ablehnung hervor.

  • Gestörter Planungshorizont

Zukunft wird entweder inadäquat erhöht gedacht als Projektionsebene für die Riesenwünsche und Selbsterhöhungen oder aber inadäquat angstauslösend, so dass jede Zukunftsorientierung verweigert wird.

  • Gestörtes Erfahrungslernen

Mit der gestörten Realitätsanpassung hängt zusammen, dass Erfahrungen im Rahmen des gestörten Beurteilungshorizonts gedeutet werden und damit eine Verstärkung der Fehleinschätzung verbunden ist.

  • Gestörte soziale Sensibilität

Aufgrund der beeinträchtigten Beziehungs- und Übertragungsfähigkeit kann sich der Verwahrloste nur mangelhaft einfühlen. Er nimmt Gefühle und Motive anderer Menschen nur unzureichend wahr und ist deshalb auch nur beschränkt fähig, Gruppenprozesse zu verstehen und sich zu integrieren.

  • Hohe Ansprechbarkeit

Die Gefühlsauslösung gelingt leicht, die schwache Persönlichkeit kann sich nach außen nur unzureichend abgrenzen, eigene Willensentscheidungen treffen und durchsetzen. Die Beeinflussbarkeit durch äußere Reize ist beträchtlich. Weder dem Aufforderungscharakter von Objekten noch Gruppenprozessen oder Gruppendruck kann widerstanden werden.

  • Unfähigkeit zum friedlichen Wettbewerb

Hier zeigt sich die Unfähigkeit zum Verlierenkönnen. Der Wettstreit wird vermieden oder artet in Kampf aus.


Wenn wir diesen Katalog genauer betrachten, so sehen wie darin einen Menschen beschrieben, der uns labil, widersprüchlich und schwach erscheint. Von Angst und Aggressionen ist die Rede, von Bedrohtsein, vom Sich- nicht abgrenzen- Können, vom Auftrumpfen und vom Sich- Zurückziehen.

Defizite und Schwachstellen der Persönlichkeit

Folgen von Wohlstandsverwahrlosung

Prävention von Wohlstandsverwahrlosung